Montag, 7. Januar 2008

Inquisition

Es war abends. Die kleine Snowy wollte noch etwas in einem der öffentlichen Gebäude erledigen. Sie öffnete die Eingangstür und stand völlig überraschend einem Inquisitor gegenüber. Er war mindestens zwei Meter groß und brachte es mit seinem schwarzen Hexenjägerhut noch auf etwa fünfzig zusätzliche Zentimeter. In seinem blutroten Samtgewand war er ein sehr eindrucksvolles Bild. Er war in eine Robe gehüllt, zu der ein Überhang gehört, der seine Schultern noch breiter erscheinen ließ, als sie ohnehin schon waren. Dieses Kleidungsstück bekleidete den Inquisitor etwa bis zur Hälfte seiner kräftigen Oberarme. Es war mit drei schwarzen Lederschnallen vorne verschlossen und ließ mit dem Stehkragen das schmale Gesicht noch schmaler erscheinen.
Auch das Gesicht flößte Snowy nicht weniger Respekt ein, als der Rest der imposanten Erscheinung. Dunkle Bartstoppeln zierten es . Die Augen waren kühl und doch feurig funkelnd zugleich. Ein Schimmer von Wahnsinn leuchtete ab und zu in ihnen auf. Schwarze Haare fielen auf seine Schultern.
Völlig vom Eindruck der Persönlichkeit vor ihr überwältigt basann Snowy sich der Verhaltensregeln für so eine Situation. Sie kniete nieder. Ihre rechte Hand ergriff die linke des Inquisitors, um sie zu ihren Lippen zu führen. Sie wollte seinen Ring, das Symbol seiner Stellung, küssen, wie sie es gelernt hatte. Doch kurz bevor ihr Mund den Ring berühren konnte, glitt dieser zu Boden.
Snowy spürte, das überlegene Grinsen des Inquisitors, ohne zu ihm hinauf sehen zu müssen. Seine Augen leuchteten. Wahnsinn. Genuss der Macht... des Erniedrigens.
Snowys Lippen berührten den Handrücken des Mannes vor ihr mit einem bitteren Gefühl der Demütigung, bevor sie den Ring aufhob und ihn wieder an seinen rechtmäßigen Platz steckte.
Sie erhob sich und nach einigen Augenblicken des Schweigens fing der Inquisitor an, sich mit ihr zu unterhalten. Unsicher nahm Snowy seinen Arm, wie es sich gehörte. Er führte sie durch die dunklen Gänge, bis sie zum Auditorium kamen. In dem großen Hörsaal war es düster. Nur die Fackeln oben an den Wänden erhellten die Halle ein wenig, doch blieb das untere Drittel im Dunkeln.
Sie gingen die steile Treppe des Mittelgangs nach unten. Etwa nach einem Viertel des Weges konnten sie eine Gestalt erkennen, die ihnen aus den Schatten entgegen kam.
Es war der Großinquisitor, der seinem Untergebenen in Respekt einflößendem Erscheinen in nichts nachstand. Er trug die gleiche Kleidung, doch aus schwarzem Samt mit einer roten Unterfütterung.
Er verzog keine Miene, als die drei sich auf dem kleinen Podest in der Mitte der Treppe trafen.
Zeitgleich verbeugten sich Snowy und der Inquisitor vor dem Mann in Schwarz, bevor sie niederknieten, um ihm die Hände zu küssen.
Keine Regung in seinem Gesicht, als sie wieder vor ihm standen. Snowy fühlte sich unwohl. Der Großinquisitor verängstigte sie noch mehr, als die Person in Rot neben ihr.
Vorsichtig und beinahe unbewusst, tasteten Snowys Finger nach denen des Inquisitors, der sanft ihre Hand drückte. Ihn schien die Situation genauso zu bedrücken wie Snowy.
Plötzlich ertönte die volle, tiefe Stimme des Großinquisitors, der zu zählen begann. "Eins, zwei,..." hallte es von den Wänden wieder. Versteckte Türen öffneten sich oben in den Wänden, aus denen dunkle Gestalten heraus traten.
Snowy wurde bewusst, was hier vor sich ging und dachte sich "Jetzt oder nie!".
Jetzt!
Sie drehte sich um und rannte die Treppe nach oben und im letzten Moment aus der sich schließenden Tür. Sie rannte und rannte weiter durchs Dunkel, bis sie eine Scheune erreichte, in der sie sich versteckte.
Was nun? Würde man nach ihr suchen? Hatte sie etwas verbrochen? War es wegen ihrem Interesse an Magie? Nein, das konnte es nicht sein. Magie wurde schon lange nicht mehr geächtet... nicht die Art, mit der Snowy sich beschäftigte.
Sie machte sich ganz klein, in der Ecke, in der sie sich verkrochen hatte und schlang die Arme um ihre Beine. Dann schloss sie die Augen. Was war wohl mit dem Inquisitor geschehen? Er schien nicht weniger überrascht gewesen zu sein als sie.
Auf einmal schoss ihr ein Bild durch den Kopf: Der Inquisitor kniete demütig vor seinem Meister und bat stumm um Gnade. Dann flog eine messerscharfe Metallscheibe auf ihn zu, die eine der Gestalten in den versteckten Türen geworfen hatte.
Sie öffnete die erschrocken die Augen. Wäre das auch mit ihr passiert, wenn sie nicht geflohen wäre? Wäre sie unschuldig für den Machthunger des Inquisitors mit hingerichtet worden, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen wäre?

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